dagmar weiss

Dokumentation der Performance mit Arne Vogelgesang als
Dr. Matthias Werthel

20'46"

Der Vortrag in Stichworten:

1. Worum geht es?
- Selbstoptimierung als übergeordnetes Thema der Werke; siehe auch Katalog
- wissenschaftlich/soziologisch "altes" Thema: Anfang/Mitte der 2000er Jahre
- trotzdem gesellschaftlich noch keinesfalls passé, die Entwicklungen, die damals beschrieben wurden sind weiterhin in vollem Gange
- inzwischen als Lebensrealität westlicher Gesellschaften für neue Generation unsichtbar geworden und seit einigen Jahren sich in neuer Politisierung in Konsequenz zeigend

Kurze historische/politische Einordnung:
- ab den 80ern Umwälzung Richtung Neoliberalismus: Thatcher in GB, Reagan in US, etwas später Schröder in D mit bspw. Hartz Reformen:
- mehr unternehmerische Betätigung und Verantwortung → mehr Freiheit, Eigeninitiative
- weniger Sozialstaat → weniger Autorität, weniger Zwang, mehr Verantwortung für die Selbstversorgung
- (spätestens) seit Ende 90er konkretes Regierungsprogramm
- aber eines, das zunehmend jenseits der Sphäre staatlicher Intervention stattfindet; Form von Foucault als "Gouvernementalität" beschrieben
- Regieren nach Foucault: jegliche Form planvollen Einwirkens auf menschliches Handeln
- nicht nur von außen planvoll gesteuert, sondern eben auch SELBST.

2. Was ist das "Selbst"?
zum Subjekt werden ist psychologisch betrachtet komplexer Vorgang mit aktiven und passiven, selbst- und fremdgesteuerten Elementen (hier nicht vertiefen, riesiges Feld für sich)

Subjekt: erkennt sich, formt sich, und agiert als eigenständiges ICH (Luhmann: "Selbstreferenz des Bewusstseins")
- in klassischer Sozialwissenschaft sind Subjekte fähig sich in einem von der Außenwelt vorgegebenen Feld von Möglichkeiten zu entscheiden und zu handeln (Beispiel: Sie kommen in diesen Raum auf Basis einer Entscheidung und entscheiden auch hier)
- diese Nicht-Determiniertheit menschlichen Handelns nennt sich Kontingenz
- bestimmte Deutungsschemata (der Wirklichkeit/des Menschen/des Subjektes) strukturieren das Kontingenzfeld menschlichen Handelns
- Machtausübung ist nach Foucault ein Einwirken auf dieses Möglichkeitsfeld, wodurch bestimmte Entscheidungen nicht (oder nur in Grenzfällen) erzwungen werden (sonst wären es keine Entscheidungen mehr) aber erleichtert, nahegelegt oder erschwert

- in Verhaltensökonomie "Nudging", Multimilliarden-Industrie (Zigarettenbilder, Fliege Pissoir)
- Subjekte nehmen die Kräfte auf, denen sie ausgesetzt sind, modifizieren sie;
dh. handeln durch- mit- oder gegen sie; und richten sie aus
- interessant für uns: richten sie auch auf sich selbst üben damit selber auch Macht auf sich aus = Subjektivierung
- daher der Doppelsinn von "selbst": bezeichnet immer die aktive wie auch passive Instanz
- bsp. Selbst-Optimierung: diejenige, die optimiert, und diejenige, die optimiert wird

- Zuschreibung des SUBJEKT-Status beinhaltet immer schon die Aufforderung zur Subjektivierung
- Subjektivierung als vom Subjekt geleistete Arbeit der Subjektwerdung/-formung ist unabschließbar
- dieser Formungsprozess ist gesellschaftliche Zurichtung wie auch Selbstmodellierung
- das Subjekt erfindet sich ausgehend von, und in Auseinandersetzung mit, den an es herangetragenen Selbstdeutungs- wie Selbstmodellierungsvorgaben je nach Kontext in unterschiedlicher Weise

- davon ausgehend wird verständlich, warum es für Regierende von Interesse ist, Subjektivierungsprozesse zu lenken, also die Selbstführung von Menschen zu beeinflussen
- Ulrich Bröckling schreibt in "Das unternehmerische Selbst" von 2007: "das Subjekt ist zugleich Wirkung und Voraussetzung, Schauplatz, Adressat und Urheber von Machtinterventionen"
- Foucault in "Die Ordnung der Dinge": "unterworfener Souverän"
- durch Subjektivierung wird eine bestimmte Interpretation der Wirklichkeit ebendiese erzeugen – wir werden, wer wir zu sein glauben ("fake it till you make it")

- zum Regieren deswegen geeignet: eine Subjektivierungsform mit normativem Charakter

3. Was ist das UNTERNEHMERISCHE Selbst?
- das unternehmerische Selbst vollzieht seine Subjektivierung nach marktökonomischen Gesichtspunkten und orientiert sich an der Figur des Unternehmers – Rolle und charakterliche Logik

- Logik: jegliches menschliche Handeln & gesellschaftliche Zusammenleben wird ökonomisch interpretiert
- jede von uns ist ihr eigenes Kapital, ihre eigene Produzentin, ihre eigene Ressource
- Gesellschaft: Markt, auf dem wir uns mehr oder weniger erfolgreich bewegen
- gesamtes Spektrum menschlicher Eigenschaften und Aktivitäten wird einbezogen: Gesundheit, Aussehen, Bildung… alles Kapital
- das und in das wir investieren (Zeit, Geld, Beschäftigung...) um MEHRWERT zu erzeugen und im Wettbewerb zu bestehen
- Markt nicht nur monetär: z.b. Beziehungs-Markt, Erfolg dort nicht Geld, sondern sexuelle Kontakte oder freundschaftliche Bindungen, Beliebtheit… bis zu Selbstbewusstsein, das als Produktivkraft wiederum kapitalisiert werden kann
- auch Konsum ist als unternehmerische Aktivität lesbar: die eigenen Ressourcen (Zeit, Geld) werden möglichst gewinnbringend (für ein Höchstmaß an Befriedigung) eingesetzt

- ein Unternehmer ist durch seine Eigenschaften für Markterfolg bestmöglich ausgestattet
- er unternimmt etwas; ist aktiv, selbstbestimmt, keinen Autoritäten verpflichtet, eigenverantwortlich (verantwortlich auch im Falle seines Scheiterns.)
- innovativ und kreativ, dh. findet immer neue Wege und Möglichkeiten, um sich im Wettbewerb zu distinguieren
- auch flexibel, um auf die ständig wechselnden Anforderung des Wettbewerbs reagieren
- Handlungen sind rational: zielgerichtet, produktiv und effizient
- er hat die Führungsqualitäten, um sein Unternehmen zu "managen":
sich selbst als sein eigenes Produkt erfolgreich zu vermarkten und zu verkaufen,
sich selbst als seine eigene Produktivkraft so effizient wie möglich auszubeuten,
sich selbst als Ressource gewinnbringend zu verwerten

- all dies tut er indem er sich zwischen verschiedenen Wahlmöglichkeiten frei entscheidet, was er investiert und wie er wirtschaftet
- Freiheit heißt also: von keiner Autorität vorgegeben, aber innerhalb des gesetzten Settings des Marktes (→ das Kontingenzfeld wird als Landschaft von Auswahloptionen strukturiert)
- er ist aber eben auch gezwungen sich zu entscheiden und trägt für Entscheidungen als eigener Chef die alleinige Verantwortung
- der unternehmerische Erfolg als Subjektivierung wird Selbstverwirklichung und somit zum Selbstzweck → intrinsische Motivation
- der Unternehmer ist fähig sich selber zu motivieren und anzuspornen – es gibt ihn sonst nicht

- alle unternehmerischen angestrebten Eigenschaften sind relational, nicht absolut
- Technologien des Selbst sind Zweck, Ziel und Methode zugleich dh. man kann nicht Unternehmer sein und es dann einfach bleiben, Erfolg ist temporär und geknüpft an den Vergleich zu anderen, die versuchen sich auf die selbe Weise zu distinguieren
- unternehmerisches Selbst verlangt dementsprechend eine konstante Weiterarbeit, das Optimieren kommt niemals bei einem Optimum an
- dazu gilt: selbst wenn die unternehmerischen Erfolge von externen Faktoren abhängen, die nicht vom Einzelnen beeinflussbar sind:
verantwortlich für Scheitern ist immer man selbst - man hätte sich immer noch mehr bemühen können

Der Ort wo sich unternehmerische und Selbstverwirklichungs-Logik verbinden ist der Körper.
- einerseits elementarer Bestandteil des "Humankapitals", in dessen Gesundheit, Kraft, Schönheit man investieren sollte,
- zweitens materielle Basis des Subjekts, des Selbst
Körper = Display auf dem sich die Arbeit an sich selbst (der Wille & die Disziplin, die Idealvorstellungen) ausdrückt

- Souveränität und Transformation durch harte oder weiche permanente Arbeit an sich selbst
- herausfordernde Sorge beweist: Ehrgeiz, Willensstärke, Disziplin, Flexibilität, und Agilität;

daher ist körperliche Selbstführung zentrales Selbstoptimierungsfeld:
- Fitness, Wellness, Bodyshaping, Heilfasten, Tantra, Tattoos, gesunde Ernährung, Meditation, Abenteuerurlaube, durchtanzte Wochenenden, Anti-Aging-Maßnahmen, allseitige Achtsamkeit, Abbau von inneren Blockaden zur Befreiung des wahren Selbst, Schönheitsoperationen, Hot-Stone-Massagen, das Wecken der Kundalini-Schlange, Power-Workouts

wie es im Imperativ der einschlägigen Ratgeberliteratur heißt:
-Nimm dein Leben in die Hand!
-Wecke deine schlummernden Potentiale!
-Versuch's noch einmal!
-Go the extra mile!
-Seien Sie besonders, oder Sie werden ausgesondert!
-Mach aus deinem "bald" lieber ein "jetzt" bevor daraus ein "nie" wird!
-Entfache ein Magnetfeld der Begeisterung!
-Setze Energien und Ressourcen zielgerichtet und hochwirksam ein!
-Qualität ist kein Ziel, sondern ein Prozess der nie zu Ende ist!
-Werd zum Pionier!
-Mach Experimente!
-Nicht: voll dahinterstehen; sondern: vorangehen!
-Übernimm Führungsaufgaben!
-Jeder hat die Pflicht, initiativ zu werden!
-Du hast den Schlüssel zum Erfolg!
-Denk nach vorn! Erweitere Horizonte!
-Verschaff dir den Marktvorteil!
-Sei dein eigener Chairman!
-Mach dich zum eigenen Projekt!

Eine ständige FORDERUNG nach Verbeserung, die zwingend auf eine ÜBERforderung hinausläuft.

Schließen möchte ich mit den unbeantworteten Fragen:
-wie kann man (kreativ und eigenverantwortlich) mit dem ständigen Druck, der ständigen Forderung nach Verbesserung umgehen, anstatt bis zur vollkommenen Erschöpfung -der Überforderung- weiterzuoptimieren?
-wollen wir denn – bzw. sind wir überhaupt fähig- uns ein Leben vorzustellen, in dem es nichts mehr zu verbessern gibt?

Der Vortrag zum Thema Selbstoptimierung wurde als Performance im Rahmen der Ausstellung “Personal Training” 23.2. bis 3.3.2019, WerkStadt Kulturverein Berlin e.V. gehalten.